Sucht [zuxt]; f; Zusammenfassend kann Sucht - ob mit oder ohne
Drogen - definiert werden als unabweisbares Verlangen nach einem
bestimmten Gefühls- Erlebnis- oder Bewusstseinszustand. Das Ziel von
süchtigem Verhalten ist entweder, Lustgefühle herbeizuführen und/oder
Unlustgefühle (Unruhe, Trauer, Wut etc.) zu vermeiden. Suchtursachen
sind im Zusammenwirken der Faktoren Mensch, Gesellschaft und
Suchtmittel zu beschreiben.
Individueller Hintergrund ist eine Autonomiestörung, die als
Selbstwertschwäche deutlich wird. Um von Suchtverhalten zu sprechen,
müssen die vier Merkmale Wiederholungszwang, Dosissteigerung, physische
oder psychische Abhängigkeit und Entzugserscheinungen klar ausgeprägt
sein. (Quelle: Landesstelle Berlin für Suchtfragen e.V.)
Wiederholungszwang, Dosissteigerung, Entzugserscheinungen? Scheiße,
ich bin süchtig. Ähnliche Symptome hatte ich schon Ende der Neunziger,
als mir Counter-Strike den Kopf verdrehte. Inzwischen, so dachte ich,
kann mir das nicht mehr passieren. Schließlich ließ mich selbst World
of WarCraft relativ kalt und auch kein anderes Online-Spiel schaffte
es, mich längerfristig vor den Bildschirm bannen. Doch es hat mich
wieder einmal erwischt. Lustigerweise ist es erneut ein Online-Shooter,
und dazu noch einer, der mich sogar Halo 3 vergessen lässt – das lang
verschollene Team Fortress 2.
Oh yeah!
Ein massiver, ca. zwei Meter großer Soldat betrachtet mit
aufgerissenen Augen seine ungefähr zwei Zentner schwere Mini-Gun,
drückt sie nach einer kurzen Überlegung an sein kantiges Kinn und
schließt verträumt die Augen. Nur zwei Meter weiter zieht ein nicht
gerade Vertrauen erweckender Arzt seine Gummi-Handschuhe fest und holt
mit irren Augen eine Nadlerpistole aus dem Kittel. Direkt gegenüber
steht ein blauer Soldat stramm und tanzt kurz danach einen
durchgedrehten Freudentanz.
Sind wir aus Versehen auf einer Motto-Party gelandet? Man könnte es
annehmen, aber diese illustre Gesellschaft wird in wenigen Sekunden
gemeinsam in den Krieg ziehen und scheint dabei eine ganze Menge Spaß
zu haben. Die Freude kommt nicht von ungefähr, denn nach langen Jahren
des Wartens dürfen sie endlich Team Fortress 2 spielen.
Vielen hatten den Titel schon aufgegeben. Das Spiel wurde nämlich
schon 1999 mit einem vollkommen anderen Konzept vorgestellt und versank
bis zum letzten Jahr komplett in der Versenkung. Die ursprüngliche Idee
griff Titeln wie Battlefield 2 vorweg und integrierte einen
Commander-Modus, bei dem ein Spieler sein Team dirigierte. Die Grafik
war für die damaligen Verhältnisse klasse und die gesamte
Online-Community wartete gespannt auf die Veröffentlichung – bis heute.
Von den ganzen neuen Ideen ist allerdings nicht viel übrig
geblieben. Team Fortress 2 ist stattdessen ein originelles Remake der
Original-Version, die als Modifikation für Quake weltberühmt wurde. Mit
ein paar neuen Ideen und vor allem mit einem komplett neuen
Grafik-Design, macht sich das alte Spielkonzept daran, den ganzen
neumodischen Shootern zu zeigen, wie ein echter Team-Shooter
funktioniert.
Die Grundlagen und die Klassen haben sich seit der
Quake-Modifikation nicht verändert. Zwei Teams müssen sich gegenseitig
ins Jenseits pusten beziehungsweise bestimmte Missionen meistern. Jeder
Spieler entscheidet sich dabei für eine Klasse, die eine spezielle
Aufgabe erfüllt. Der Ingenieur zum Beispiel ist mit seiner
Selbstschusskanone in erster Linie für die Verteidigung zuständig.
Gleichzeitig sorgt er mit einem Energie- und Munitionsspender für
ständigen Nachschub. Der Scout dagegen ist geradezu für den Angriff
geboren. Schnell, agil und mit einer Schrotflinte ausgestattet, ist er
die ideale Figur, um Dokumente zu stehlen oder einen verlassenen
Kontrollpunkt einzunehmen.
Eine ausführliche Beschreibung sämtlicher Klassen und ihrer Aufgabengebiete findet Ihr in unserem Klassen-Special
. Die Spielerfahrung hat gezeigt, dass das Balancing hervorragend
funktioniert und man mit allen Klassen Erfolge feiern kann. Je nach
Spielmodus und Situation sind einige jedoch leichter zu erlernen als
andere. In den drei Spielmodi 'Capture the Flag', 'Control Points' und
'Territory Control' müsst Ihr Euch fast immer sowohl um den Angriff als
auch um die Verteidigung kümmern. Lediglich bei der 'Territory Control'
kann es vorkommen, dass Ihr Euch für eine Strategie entscheiden müsst.
Anfänger sollten beispielsweise einmal den Medic ausprobieren, der
eigentlich nur die ganze Zeit seine Heilkanone auf einen Heavy mit
Mini-Gun richten muss. Dann, nach einer gewissen Aufladezeit, einfach
die zehnsekündige Unverwundbarkeit anwerfen und schon regnet es
Kill-Assists. Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten bekommt man nämlich
auch einen Punkt gut geschrieben, wenn man nur bei der Vernichtung des
Gegners hilft. Das fördert die Zusammenarbeit und senkt bei einigen
Klassen deutlich das Frustpotential.
Schon 1996 führten die Entwickler der Modifikation, Robin Walker und
John Cook , ein Belohnungssystem ein, das unabhängig von den Kills
funktioniert. Die Spieler werden dadurch zur Zusammenarbeit gezwungen.
Einige Klassen, wie der Sniper, sind aber ganz auf sich allein
gestellt, auch wenn ein unterstützender Medic in den harten
Scharfschützengefechten immer hilfreich ist. Die Verteidigung eines
wichtigen Punktes, das Deaktivieren einer EMP-Device oder das
Ausschalten eines Geschützes, mehrt zudem das eigene Konto. So entsteht
selbst auf bunt gemischten Public-Servern ein Gefühl des Zusammenhalts
und der Abhängigkeit. Selbst ohne Sprachkommunikation versteht man sich
blind, da das Spiel sonst so herrlich einfach ist.
Mal abgesehen von den harten Gefechten steht der Humor klar im
Vordergrund. Nicht umsonst hat Valve einen Comic-artigen Look gewählt.
Dank der wunderbar überzeichneten Charaktere versprüht das Spiel selbst
in den Feuerpausen so viel Charme, dass man kaum aus dem Lachen
herauskommt.
Mitverantwortlich für die gelungene Optik der recht simplen Modelle
ist die Source-Engine, die realistische Schatten und HDR in die
Comic-Welt zaubert. Wem der Stil gefällt, wird begeistert sein. Doch
selbst Kritiker werden zugeben müssen, dass man durch die einfache
Darstellung wunderbar die einzelnen Klassen auseinander halten kann. So
erkennt Ihr auf den ersten Blick, welcher Gegner Euch hinter der
nächsten Ecke erwartet und könnt Eure Taktik entsprechend planen.
Zusätzlich wirkt die gesamte Welt wie aus einem Guss. Karten und
Charaktere sind perfekt aufeinander eingespielt und mit viel Liebe zum
Detail animiert. Jede Figur besitzt 11 verschiedene „Emotes“, mit denen
Ihr die Wartezeit überbrücken können. Dadurch bekommt Ihr eine
persönliche Beziehung zu den Figuren, die durch ein weiteres,
kongeniales Feature noch verstärkt wird.
Erst einmal bannt eine Kill-Kamera den Moment Eures Todes sowie das
Antlitz Eures Mörders auf Zelluloid. Hat Euch ein Gegner oft genug
hinter einander erwischt, verwandelt er sich in Eure Nemesis. Gelingt
es dem Opfer, also Euch, sich anschließend an ihm zu rächen, bekommt
Ihr Bonuspunkte gut geschrieben. Unterstützt durch ein leuchtendes
Symbol mit zwei Box-Handschuhen, das über dem Kopf Eures Feindes
erscheint, entwickeln sich so intime Hassbeziehungen, die den
Mehrspielergefechten die richtige Würze verleihen.
Aber nicht nur bei solchen Gelegenheiten strotzt der Titel geradezu
vor Statistiken. Zum Beispiel bekommt Ihr nach jeder Runde mitgeteilt,
ob Ihr einen der mannigfaltigen Rekorde und erreichbaren Ziele
gebrochen habt. In Kombination mit den in die neue Steam-Community
integrierten Achievements wird man immer wieder dazu genötigt, alle
Klassen auszuprobieren. Nach einer Weile schälen sich zwar Präferenzen
heraus, doch so ist man vorbereitet, wenn es mal wieder Zeit wird, eine
andere Rolle zu übernehmen.
Die Gefechte selbst wirken auf den ersten Blick chaotisch und
unterscheiden sich dramatisch von anderen Taktik-Shootern. Wenn
Demo-Männer ihre Granaten in einen engen Gang werfen, ein Heavy
gemeinsam mit einem Medic nach vorne stürmt und sich Spione unsichtbar
auf die andere Seite schleichen, muss man blitzschnell reagieren, um
nicht sofort in Stücke gerissen zu werden.
Dies wird hübsch passend in Form von explodierenden Schrauben,
Feder, Hamburgern und Fischgräten dargestellt. Sonst fließt natürlich
kein Tröpfchen Blut, zu der humoristischen Darstellung würden aber auch
keine Splatter-Effekte passen.
Brillant sind auch die sechs Karten, auf die sich ab dem 10. Oktober
die Spieler tummeln dürfen. Der Umfang fällt zwar recht übersichtlich
aus, dank unterschiedlicher Wege und einem nahezu perfektem Leveldesign
machen die Schlachtfelder aber auch nach dem Hundertsten Male jede
Menge Spaß. Vor allem die Neuauflagen der Klassiker '2fort', 'Well' und
'Hydro' sind einmalig und auch stilistisch absolute Weltklasse. Wie
auch beim Gameplay wurden nur Details geändert, Veteranen werden sich
also sofort wohl fühlen. Damit aber erst gar keine Langweile aufkommt,
wird Euch Valve laut eigener Aussage nach dem Release weitere Karten
liefern. Früher oder später wird auch die Community dazu beitragen,
obwohl es angesichts des ungewöhnlichen Grafikstils nicht ganz so
einfach wird, dafür selbst Karten zu basteln.
Da ist sie also wieder, meine Online-Sucht. Schön, dass Valve auch
einen abgebrühten Shooter-Oldtimer noch überraschen kann. Mal abgesehen
von dem unverwüstlichen Spielprinzip macht wirklich jede Detailänderung
Sinn. Außerdem begeistert mich die ungewöhnliche Grafik, die sich
deutlich von den ganzen pseudo-realen Vertretern da draußen abhebt. Die
Geschwindigkeit und die Spieltiefe, die sich schon aus den neun
unterschiedlichen Klassen ergibt, werden Team Fortress 2 schnell an die
Spitze der meist gespielten Titel befördern.
Negativ fällt bislang lediglich der recht überschaubare Umfang ins
Auge. Die sechs Karten sind zwar hervorragend konstruiert, werden aber
auf absehbare Zeit doch irgendwann langweilig. Außerdem haben die
Bösewichte den VIP-Modus gestrichen. Hier muss Valve schnell Nachschub
liefern, um meine Sucht vollends zu befriedigen. Bis dahin müssen meine
anderen Online-Shooter wohl oder übel eine Pause einlegen, denn Team
Fortress 2 verschafft mir mit Abstand die meisten 'Lustgefühle'.
Wer sich die Orange Box jetzt schon über Steam zulegt, darf bis zum
Release am 10. Oktober die Beta spielen. Xbox 360-Besitzer und
Box-Käufer müssen sich bis zum 19. Oktober gedulden und PS3 Besitzer
sogar bis zum 26. Oktober.